Auch unser Pfarrer Dr. Johannes Schick hat in dieser Woche eine “Andacht to go” in Textform für alle Semis in Blaubeuren und zuhause vorbereitet:

Andacht to go – Gedanken und Geschichten zum Mitnehmen

12. Mai 2020

Liebe Schülerinnen und Schüler,

ob uns aufgefallen ist, dass es den Segen nicht mehr gab? Also, er war nicht mehr da am Ende der Gottesdienste, die nicht mehr da waren. Wo wir doch vom Segen leben: Der Herr segne dich und behüte dich, er lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig, er erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. 

Der Segen ist wie ein Moment des Zögerns, eine Atemwende in allem Tun und Funktionieren. Ein anderer Blick ruht auf uns, wir müssen für einmal nicht selbst zusehen, wie wir das Leben hinkriegen. Das hebräische Wort für Gesicht ist „panē“, das heißt „Wendung, Zuwendung“. Gott wendet seinen Blick zu. Und es ist dann so, wie es Hilde Domin in einem Gedicht formuliert: „Dein Ort ist / wo Augen dich ansehn / Wo sich die Augen treffen / entstehst du … Es gibt dich / weil Augen dich wollen / dich ansehn und sagen / dass es dich gibt.“

Der Herr segne dich und behüte dich. Das heißt, ich lebe in einem guten Blickfeld, das mich schützt. Klar sind wir unsicher, wir wissen oft kaum die nächsten Schritte oder fühlen uns fremd in der Welt, manchmal sogar in der eigenen Haut. Der Segen ruft gute Umgebungen auf: den Raum der Nächsten, wo sich das Leben vertraut und richtig anfühlt; Freunde, mit denen man sich auch über die digitale Ferne zusammenschließt (man behält sich im Auge, gerade, wenn man sich so wenig sieht); selbst in der Einsamkeit kann ich eine gute Umgebung finden: In jedem stillen Gebet schlüpfe ich in Gott hinein wie in eine zweite Haut. Die Welt: Gottes Blickfeld, keine verlassene Gegend.

Und der Segen holt neu, länger Atem: Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Leuchtende Augen, kennen wir sie? Wir haben doch schon einmal andere angestrahlt vor Glück, jede, jeder. Und sind angestrahlt worden, immer wieder. Wie war es? Wie ist das Leben in solchen Momenten? Wer leuchtende Augen für andere hat, zeigt nicht nur ein bisschen Zuwendung, sondern ist charmant, großzügig, hat ein besonderes Augenmerk und ist vor allem ganz präsent und nicht irgendwo anderes mit den Gedanken. Es ist keine Kleinigkeit, wenn Gott sein Angesicht leuchten lässt. Vielmehr: Überfluss, etwas Gnädiges, nichts Knickriges.

Wo immer uns mitten im Leben ein Leuchten ist, wo etwas Schönes aufstrahlt, ist es wie Gottes Augenmerk. Sehen wir, wie die Sonne aufgeht und ihre Farben an den Himmel malt? Sehen wir Menschen, die Hingabe zeigen, wenn es Zeit ist? Sehen wir die Signale der Liebe wie Funken im grauen Alltag?

Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Ein dritter, längster Atemzug. Wow, merkt ihr etwas? Gott schaut zu uns auf! Ein Akt der Hochschätzung. Zu wem ich aufschaue, den schätze ich überaus, ich hebe die Person hervor, heraus, begehre und bevorzuge sie. Die Gegensätze kennen wir zu gut: den Blick von oben herab (von der herablassenden Bemerkung über die Gesten der Ausgrenzung bis hin zur Hate Speech im Netz); und das Übersehen, wenn Menschen einander die kalte Schulter zeigen, weil sie gar nicht mehr erwarten, etwas Besonderes beieinander zu entdecken. Dagegen das Gesicht, das aufschaut zu mir, hält mich hoch, überschätzt mich sogar auf mein Bestes hin, das vielleicht im Moment gar nicht erkennbar ist, aber schon da war oder wieder da sein wird. Ein guter Freund erinnert mich an meine Ideale; Menschen trösten mich; Vergebung richtet mich auf. Hochschätzung, das ist dann Schalom, Frieden. Wenn Menschen das Beste aneinander und füreinander hochhalten.

Segen ist also wie eine große Atempause. Gott hat uns im Blick. Und wir? Wir könnten wie Spiegel sein, etwas spiegeln vom Ansehen. Wer im Blickfeld Gottes ist, weiß sich orientiert; gewinnt Umsicht, hat Haltepunkte, geht wie mit einem inneren Kompass durch die Welt. Wer das besondere Augenmerk spürt, kommt ins Staunen, freut sich am Besonderen und sieht nicht immer so aus, als wisse er schon alles. Staunen ist Lust am Bejahenswerten. Und: Wer erfährt, dass jemand zu ihm hochschaut, wird vergnügter und muss andere nicht mehr drücken. Wir es der Kabarettist und Theologe Hanns Dieter Hüsch formulierte: „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. / Gott nahm in seine Hände meine Zeit, / mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, / mein Triumphieren und Verzagen, / das Elend und die Zärtlichkeit.“

Ob uns auffällt, wie es den Segen gibt? Wir sind Angesehene. Sind wir auch wie Spiegel? Wir könnten erlöster aussehen.

Amen